WISSEN Mentaltraining im Badminton - Nur ruhig Blut

Lothar Linz, als Sportpsychologe u.a. Weltmeister mit den Hockeyherren und Olympiasieger mit den Fechtern, aber auch Badmintonexperte erklärt wie man als Trainer mit Stress umgeht.

Das kennen Sie doch sicher auch. Nach einem spannungsgeladenen Spiel, dass erst um 21.45 mit dem letzten Punkt glücklich zu Ende ging, landen Sie um kurz vor 12 in Ihren eigenen vier Wänden. Vorher gab es noch die Pressekonferenz, 2 Spielerinnen, die etwas von Ihnen wollten, eine andere Athletin, welche Sie wieder aufrichten mussten, der obligatorische Plausch mit den Sponsoren, eine kurze kritische Nachbetrachtung mit dem Vereinsvorstand, ein paar andere Leute, die Sie kurz begrüßten und welche ihre Meinung zum Spiel von sich gaben, dann noch das gemeinsame Bier nebst kleinem Snack an der Vereinstheke. Und jetzt endlich der erste Moment der Ruhe. Aber wie sollen Sie gleich schlafen? Das Adrenalin rauscht noch immer durch Ihre Adern, verschiedene Bilder des Spiels tauchen vor Ihren Augen auf. Der immer gleiche Annahmefehler, der vergebene Matchball im 4. Satz, die zwei guten Blocks, welche Ihnen den Vorsprung im Fünften brachten. Also was tun? Noch ein Bier? Etwas Fernsehen? Oder schon ab ins Bett und warten, bis irgendwann so gegen halb 2 der Schlaf Sie endlich mit sich nimmt? 
 
Das Trainerdasein am Spieltag ist Stress pur. Bei den meisten fängt es ja schon Stunden vorher an, bei besonderen Spielen sogar Tage vor Spielbeginn. Und das ist auch einer der Reize der Aufgabe. Diese Spannung, die sich langsam aufbaut und am Ende hoffentlich im Jubel endet. Diese Spannung brauchen Sie auch, um ein guter Coach zu sein. Wobei ich mit Coaching ganz bewusst die Begleitung Ihrer Mannschaft vor, während und nach dem Wettkampf meine. Das Training in der Woche kann man auch ohne größere Anspannung hervorragend gestalten. Aber am Wettkampftag braucht es dieses besondere Kribbeln, bei Ihren Athleten wie bei Ihnen selber.
 
Denn Stress hat eine Funktion. Er macht uns wachsamer und handlungsfähiger. Die Atmung geht schneller, das Herz schlägt häufiger und das Gehirn und die Muskulatur werden besser durchblutet. Stress ist also ein Zustand, der uns, genauso wie Angst, in eine besondere Leistungsbereitschaft versetzt. Zumindest so lange er nicht zu groß wird. (Dass zu großer Stress und zu viel Angst leistungsmindernd wirken, weil sie zu einer Verkrampfung bis hin zu einer völligen Blockade führen, habe ich schon im Volleyballmagazin 3/2005 („Nicht hop, sondern top“) ausführlich erläutert.)
 
Wir sprechen deshalb auch von „gutem“ (à Eustress) und „schlechtem“ (à Dissstress) Stress. Guter Stress ist der Stress, welcher das Leben erst reizvoll und interessant macht. Der Stress, welchen Körper und Psyche brauchen. Sozusagen „das Salz in der Suppe“ des Lebens. Disstress dagegen ist der schädliche Stress, welcher langfristig zu Krankheiten und psychischen Auffälligkeiten führen kann. Wo aber genau ist die Grenze? Wann ist der Stress noch hilfreich und wann schon schädlich? Das hat sicher etwas mit der inneren, meist unbewussten Bewertung der jeweiligen Situation zu tun. Je mehr ich eine Situation als bedrohlich anstatt als herausfordern erlebe, desto größer wird die negative Stresswirkung sein. (Wobei direkt eine Einschränkung gemacht werden muss: ein Übermaß an positivem Stress ist ebenfalls problematisch, so herausfordernd und angenehm ich das auch bewerten mag.)
 
Und damit kommen wir zurück zu Ihnen. Wie bewerten Sie das bei sich selber? Ist der wochenendliche Stress bei Ihnen noch positiv oder wird es schon zu viel? Die nicht geringe Zahl von Suchtmittelabhängigen unter den Trainer weist darauf hin, dass eine Reihe von Trainern schon jenseits der magischen Grenze sind. Oder aber, dass Sie keine adäquaten Mittel haben, um den entstandenen Stress effektiv zu bewältigen.
 
Praktische Hilfen bei der Stressbewältigung
 
Wenn aber Alkohol nicht die beste Form ist, vom Stress abzuschalten, was können Sie dann tun? Darauf kann man zunächst ein paar generelle Antworten geben. Wie ich oben schon erklärt habe, ist Stress ein Zustand, der den Körper in Leistungsbereitschaft versetzt. Deshalb ist es wichtig, den Stress aktiv abzubauen. Also die Leistung auch abzurufen, für die der Körper vorbereitet ist. Das geht am leichtesten über Bewegung. Nahe liegend sind natürlich alle Formen der sportlichen Betätigung. Ob Sie nun lieber Schwimmen, Volleyball spielen oder Joggen bleibt Ihren Vorlieben überlassen. Aber auch Gartenarbeit, Tanzen und sogar Putzen sind wirksame Alternativen. Hauptsache, Kreislauf und Muskulatur kommen in Schwung.
 
Während des Spiels bedeutet aktive Stressbewältigung zudem, dass es sinnvoll ist, seine Spannung auch abzureagieren. Untersuchungen aus dem Fußball belegen eindeutig, dass Trainer, welche in ihrem Coaching sehr aktiv sind, eine geringere Gefährdung ihrer Gesundheit eingehen als Trainer, die sich stark kontrollieren und zurücknehmen.
 
Anerkannt ist auch, dass das Gefühl, die Kontrolle über eine Situation zu besitzen, das Stresserleben deutlich reduziert. Wenn also das Spiel zu Ihren Ungunsten läuft, fragen Sie sich, was Sie tun können. Bleiben Sie aktiv. Das hilft nicht nur Ihrem Team, sondern auch Ihnen selber.
 
Hilfreich sind auch Entspannungsverfahren, die man sowohl in der Woche zwischen den Spielen, als auch am Spieltag selber anwenden kann. Bekannt sind vor allem das Autogene Training und die Progressive Muskelentspannung (kurz: PMR). Mit letzterem Verfahren habe ich bei Sportlern und Trainern die besten Erfahrungen gemacht, da es wenig Übung benötigt, um die Technik zu erlernen, und es zugleich ein Entspannungsverfahren ist, bei dem man etwas tun muss. Denn vielen Menschen fällt es schwer, sich auf Kommando zu entspannen. In diesem Fall ist das bei PMR verwendete systematische Anspannen der Muskulatur eine Hilfe. Von Phil Jackson, dem überaus erfolgreichen amerikanischen Basketballcoach (9 NBA-Titel mit den Chicago Bulls und den LA Lakers) ist bekannt, dass er sich selber durch Meditation beruhigt. Auch dass ist ein möglicher Weg.
 
 
 
Übung1: Ruhebild mit Körperanker
 
Diese Übung beruht auf der klassischen Konditionierung, dem Lernen durch Gleichzeitigkeit (à vielleicht erinnern Sie sich noch aus der Schulzeit an den russischen Wissenschaftler Pawlow und seinen Versuch mit dem Hund und der Klingel, die er immer zum Futter erklingen ließ). Sie ist sehr wirksam, bedarf aber im Vorfeld der wiederholten Einübung, damit sie anschließend im Wettkampf wirksam eingesetzt werden kann.
 
Setzen oder legen Sie sich bequem hin und schließen Sie die Augen. Nehmen Sie sich genug Zeit, um sich in einen entspannten Zustand zu bringen. Lassen Sie dann (aber erst dann, wenn Sie wirklich entspannt sind) ein Bild der Ruhe und des Friedens vor Ihrem inneren Auge auftauchen. Das kann z.B. ein Strand am Meer, ein Bergsee, ihre Hängematte im Garten oder was auch immer sein. Machen Sie dieses Bild möglichst scharf und bunt. Wenn Ihnen dieses gelungen ist, machen Sie dazu eine spezifische Körperbewegung. Diese sollte für Sie untypisch und nur mit diesem inneren Bild und inneren Zustand verbunden sein. Gut geeignet ist z.B. das Streichen eines Ohrläppchens oder der Fingerkuppen. Auf jeden Fall sollte es eine sanfte Bewegung sein. Wenn Sie das gemacht haben, kommen Sie wieder zurück in den Raum.
 
Wiederholen Sie diese Schritte in den nächsten 3-4 Wochen etwa 10 mal. Das genügt. Dann können Sie später mit Hilfe des Bildes und der Körperbewegung schlagartig Ihren inneren Zustand hin zu einer größeren Entspannung verändern.
 
 
Übung 2: Die Steigerungsatmung
 
Es gibt eine Vielzahl von Atemübungen. Die meisten zielen darauf ab, den Atem tiefer und damit zugleich ruhiger zu machen und dadurch zu einer Entspannung des Gesamtorganismus beizutragen. Eine sehr einfache und zugleich wirksame Form ist die hier beschriebene Steigerungs- oder Stufenatmung. Sie wird unter anderem von Golfern vor dem Putten, bei dem man bekanntlich eine sehr ruhige Hand braucht, mit viel Erfolg eingesetzt.
 
Legen, setzen oder auch stellen Sie sich bequem hin und konzentrieren Sie sich auf Ihren Atem. Machen Sie zuerst einen ganz normalen Atemzug, ohne etwas zu verändern. Dann versuchen Sie in der Folge, bei jedem Ausatmen etwas länger und tiefer auszuatmen als zuvor. Machen Sie kleine „Schritte“. Versuchen Sie, mindestens 10 Steigerungen der Ausatemtiefe zu realisieren. Auf das Einatmen brauchen Sie keine Aufmerksamkeit verwenden. Sie werden merken, dass es von selber ebenfalls tiefer wird. Am Ende dürfte ihr Atem sehr tief geworden sein, so dass sich auch ihr Bauch bei jedem Einatmen deutlich mitbewegt.
 
Üben Sie diese Übung zunächst ein paar mal in Ruhe zu Hause ein, bis Sie mit der Technik vertraut sind. Dann können Sie sie anschließend ohne weiteren Aufwand und ohne dass jemand anders es mitbekommt vor, nach und sogar während eines Spiel anwenden und sich so kurzfristig wieder „herunterfahren“.
 
Mentale Strategien der Stressbewältigung
 
Die bisher beschriebenen Übungen wirken auf der körperlichen Ebene, indem Sie die Atmung und das Nervensystem beruhigen. Sehr bedeutsam für unser Stresserleben sind aber auch unsere Gedanken. Es gibt Gedanken, die Ihren Stresspegel erhöhen und es gibt Gedanken, die Sie beruhigen.
 
Zu den stressauslösenden Gedanken gehören:
Ø Zu viele Gedanken über die Stärken des Gegners
Ø Gedanken über mögliche Fehler Ihrer Spieler
Ø Das Hadern über verpasste Gelegenheiten
Ø Gedanken über mögliche negative Folgen einer Niederlage
Ø Angst vor Verletzungen
Ø Angst vor anderen Unglücksfällen (Benachteiligung durch Schiris, Publikum etc.)
Ø Gedanken über die Erwartungen anderer Menschen
 
Nun ist es nicht möglich, das Auftauchen dieser Gedanken zu vermeiden. Was Sie aber beeinflussen können, ist, dass Sie aufhören, diesen Gedanken nachzufolgen. Wichtig ist immer nur dieser Moment. Er ist alles, worauf Sie Einfluss haben. Die Vergangenheit ist schon vorbei und Sie können Sie nicht mehr ändern. Die Zukunft wiederum ist noch nicht da. Was bleibt, ist dieser Augenblick. Dieses Spiel, dieser Satz, ja, genau genommen nur dieser Punkt. Genau dieser Punkt, den Ihr Team jetzt gerade spielt. Und darauf kommt es an. Punkt für Punkt zu spielen. Also sollten Sie sich gedanklich ganz auf diesen Augenblick konzentrieren. Wenn also Stressgedanken auftauchen, ist es wichtig, dass Sie immer wieder mit Ihrer Aufmerksamkeit zu diesem Augenblick zurückkehren.
 
Damit Ihnen das besser gelingt, empfiehlt es sich einen einfachen Trick anzuwenden. Geben Sie Ihre Stressgedanken ab. Vielleicht erscheint Ihnen das Ganze etwas zu einfach, aber Sie werden erstaunt sein, wie wirksam diese Technik sein kann. Ich selber habe bei mir wie bei von mir betreuten Athleten hervorragende Erfahrungen damit gemacht.
 
Übung: Stressgedanken abgeben
 
Suchen Sie sich einen Partner in Ihrem Umfeld. Das kann Ihr Mann/Ihre Frau oder genauso der Mannschaftsbetreuer sein. Weihen Sie diesen Partner in Ihr Ansinnen ein. Dann schreiben Sie rechtzeitig vor dem Spiel alle möglichen Stressgedanken, welche Ihnen durch den Kopf gehen, auf ein Blatt Papier oder eine Karteikarte. Schauen Sie sich das Niedergeschriebene noch einmal genau an. Und dann geben Sie den Zettel an den erwählten Partner ab. Bitten Sie Ihn, den Zettel für Sie aufzubewahren und Ihnen erst nach dem Spiel wiederzugeben.
 
Sie können das auch während des Spiels machen, wenn Ihr Partner in der Nähe ist. Schreiben Sie einfach alle neu auftauchenden Stressgedanken immer wieder auf ein Papier und geben Sie es ab.
 
Wichtig ist nur Eines: Nehmen Sie das Ganze ernst. Versuchen Sie nicht, die Gedanken loszuwerden wie lästige Fliegen. Und schauen Sie, nachdem Sie den Zettel zurückerhalten haben, noch einmal auf Ihre Notizen. Lassen Sie sich überraschen: Vielleicht hat sich manches als unnötig erwiesen, vielleicht sich auch bestätigt.
 
Daneben haben sich verschiedene andere mentale Strategien als wirkungsvoll erwiesen. Zum Beispiel ist es manchmal hilfreich, gedanklich ein so genanntes „Worst-Case-Szenario“ durchzuspielen. Damit ist gemeint, sich die Frage zu stellen, was in der stressauslösenden Situation schlimmstenfalls passieren könnte. Meistens sind die Folgen weniger schlimm, als wir das glauben. In der Regel neigen Menschen dazu, Ängste und Bedrohungen nicht genau anzusehen. Klar, sie sind ja unangenehm. Also will man ihnen lieber ausweichen und woanders hinschauen. Dabei bedarf es genau des Gegenteils. Wenn man der Bedrohung ins Angesicht sieht, verliert sie meist an Kraft.
 
Oder man nimmt bewusst Distanz zu der Situation auf, etwa indem man sich fragt, was eine außenstehende Person dazu sagen würde. Alternativ kann man sich auch fragen, wie man in einem Monat, besser noch in einem Jahr über die Situation denken würde. Vieles relativiert sich dann. Und manches eben auch nicht. Das ist dann auch gut so, denn, wie wir oben schon festgestellt haben, es geht nicht darum, Stress generell zu vermeiden, sondern das rechte Maß zu finden. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg dabei!

Über den Autor:

Lothar Linz ist erfolgreich als Sportpsychologe in den verschiedensten Sportarten tätig und konnte bereits viele Athleten auf dem Weg zum Weltmeistertitel oder zur olympischen Medaille unterstützen. Er ist unter www.sportgeist.de zu erreichen und Autor des Buches "Erfolgreiches Teamcoaching".

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