VIDEO Laufrhythmus im Badminton – wie funktioniert das eigentlich? Teil 1
Frühe Treffpunkte sind eines der Hauptziele im Badminton. Neben dem bestmöglichen Einsatz von Oberkörpers und Armen, ist vor allen Dingen eine effektive & effiziente Laufarbeit wichtig.
London im Sommer 2012: Genau 41 Schritte lagen zwischen Startschuss und 100-Meter-Ziellinie – und der Goldmedaille für Sprintstart Usain Bolt. Eine Aufgabe, die in der Sportwissenschaft als „geschlossen“ angesehen wird, für die der Jamaikaner ganze 9,63 Sekunden benötigte. Geschlossen, weil die Aufgabe klar durch Start- und Zielpunkt vorgeben ist. Spielsportler und so auch Badmintonspieler müssen eine andere Aufgabe, eine so genannte offene Aufgabe bewältigen. Hier sind weder Startzeitpunkt, Laufrichtung noch Ziel vorgegeben: Vor dem Treffpunkt des Gegenüber
Bei einer Vielzahl unserer Jugendspieler sieht man im Vergleich zu Weltklassespielern, aber auch zur internationalen Jugendspitze, Defizite in der Laufarbeit. Vor allem in der Bewegungsökonomie trennt sich die Spreu vom Weizen. Oft wird zu früh und falsch reagiert, es muss viel nachkorrigiert werden. Manchmal mangelt es an Basics wie der optimalen Körperhaltung und Schrittstellung oder schlechter Nachbereitung bei fehlenden taktischen Gedanken. Aber auch in der Weltspitze gibt es deutliche Unterschiede – die wahrscheinlich den Unterschied ausmachen. Schaut man auf den Laufrhythmus von Lin Dan, im Gegensatz zur Nr.2 Lee Chong Wei, fällt auf, dass ersterer deutlich weniger nachkorrigieren muss, damit oft besser in Balance und früher am Ball ist als sein Kontrahent.
Betrachten wir zunächst die einfach vorstellbare Situation: Man hat einen hohen Clear ins Hinterfeld gespielt, der Gegner hat viel Zeit und somit eine Vielzahl von Möglichkeiten. Er kann zwischen verschiedenen Smash-, Drop- und Clearlösungen wählen. Man selbst ist gezwungen, das ganze Spielfeld bestmöglich abzudecken. Alle longline-Lösungen sind auf Grund des kürzeren Weges ebenso gefährlich wie ein Drop beziehungsweise Smash im Gegensatz zu einem Clear. Mit diesen naheliegenden Überlegungen würde man eher etwas longline-orientiert den Smash oder Drop abdecken.
Wann aber zum Ball starten? Die Lösung ist denkbar einfach und dennoch liegt hier bereits oft der Kern des Problems: Dann, wenn man weiß, in welche Richtung man laufen muss. Schaut man sich Lin Dan in Zeitlupe an, erkennt man, dass er in dem Moment, in dem der Gegner den Ball trifft, noch mit beiden Füßen in der Luft ist. Sie setzen erst zum Starten auf, als der Ball den Schläger bereits ein bis zwei Meter verlassen hat – er aber weiß, in welche Spielfeldecke er laufen muss. Ein Grundproblem, wie es in vielen anderen Sportarten fast ebenso zu finden ist. Eine mögliche Lösung: abwarten und erkennen, in welche Richtung der Ball unterwegs ist.
Ein Handballtorwart vor einem 7-Meter beispielsweise hat keine Zeit zu reagieren – die Abwehrhandlung muss bereits vor Beginn des Ballfluges starten. Wie also die Aufgabe bewältigen? Erfahrene Torhüter lösen diese Aufgabe in Tests, aber auch in der realen Situation signifikant besser als unerfahrene Torhüter. Das Stichwort lautet hier „Erfahrung“. Doch was genau enthält dies für junge Spieler oft nicht greifbare Wort?
Während Handballtorhüter an bestimmten Merkmalen des Wurfarmes, der Schulter oder der Hand Hinweise erlangen, muss auch der Badmintonspieler „lesen“ lernen. Auf der einen Seite ist es das Ziel, die eigenen Schläge so ansatzlos oder gar getäuscht zu spielen. Auf der anderen Seite ist es das Ziel das Ziel, nicht nur das Spiel des Gegners zu lesen, sondern auch dessen einzelne Schläge früh zu erkennen – somit also frühzeitig die Schlagabsicht zu antizipieren. Gepaart mit taktischen Kenntnissen, kann die Auswahl der möglichen, sinnvollen oder gefährlichen Schlagabsichten sogar eingeschränkt und das Lesen auf die gesamte Spielsituation erweitert werden, so dass im Vorfeld sogar entsprechend angepasst gedeckt werden kann. Die Stichworte lauten hier also Decken, Antizipieren und ganz allgemein: Lesen und Lösen.
Das Training des Laufrhythmus sollte also die entsprechenden Punkte ebenfalls beinhalten und widerspiegeln.
Der Laufrhythmus setzt sich aus folgenden Elementen zusammen. Beginnend beim explosiven Start in die jeweilige Spielfeldecke, wird mit einer bestimmten Lauftechnik zum Ball gelaufen oder gesprungen. Direkt nach dem eigenen Schlag wird zunächst ein schneller Schritt aus der Ecke genommen. Dies ermöglicht zum einen insbesondere bei Sprüngen im Midcourt und Hinterfeld noch das energiesparende Nutzen des Dehnungs-Verkürzungszyklus bei Landung und Abdruck. Zum anderen ist man für den nächsten gegnerischen Ball schnell wieder bereit. Je nach Zeitrahmen, der durch den eigenen Schlag und die Position des Gegners vorgegeben ist, begebe ich mich mehr oder minder schnell in Richtung Spielfeldzentrum. Kurz vor Erkennen des gegnerischen Schlages löse ich die Füße vom Boden oder verringere zumindest den Druck auf den Boden.
Ist die Schlagrichtung erkannt, erfolgt der Abdruck und somit der Start zum Ball sowie der Lauf in die neue Spielfeldecke.
Für einen explosiven Start sind hauptsächlich zwei Komponenten interessant: zum einen die Explosiv- oder sogar Reaktivkraftfähigkeit der Beine und zum anderen die Position der Beine. Rein physikalisch betrachtet muss die Position der Beine so gewählt werden, dass die Kraft über den Abdruck entgegen der Laufrichtung wirken kann, und zwar im optimalen Winkel und Entfernung zum Körperschwerpunkt.
Grundsätzlich ist die Startbewegung und das optimale Positionieren der Beine etwas Natürliches. Der Körper sucht sich entsprechend der eigenen Fähigkeiten die optimale Position für den Start. Dazu führe man folgendes Experiment durch: man gebe zwei Athleten die Aufgabe, aus dem parallelen
aufrechten Stand um die Wette zu sprinten – beide werden beim Start mit einem Bein nach hinten treten, um so eine bessere Position für den Abdruck zu gewinnen.
Betrachtet man eine offensive Spielsituation, sind die Beine des Athleten sinnvoller Weise in eine Diagonale ausgerichtet. Interessanter und komplexer für den Start ist die defensive Situation, in der die Füße des Athleten breit und fast parallel ausgerichtet sind. Hier gibt es verschiedenste Möglichkeiten mit verschiedenen Vor- und Nachteile, die athletenindividuell und situationsspezifisch Anwendung finden.
Grundsätzlich ist die Startbewegung und das optimale Positionieren der Beine etwas Natürliches. Der Körper sucht sich entsprechend der eigenen Fähigkeiten die optimale Position für den Start. So gibt es Athleten, die die Beine gleichzeitig aufsetzen, während Peter Gade beispielsweise oft in dieser Situation das rechte Bein minimal zeitlich vor dem linken Bein aufsetzt. Wie aber diese Individualität und Situationsspezifik des Starts schulen oder gar einführen? Dazu nutze ich gerne folgenden Übungsaufbau:
Der Athlet steht auf einer Langbank, der Trainer wirft Bälle ans Netz und bekommt zunächst die Aufgabe, für den Lauf in die vordere Vorhandecke folgende Wege auszuprobieren:
1) Fallen lassen und gleichzeitiges Landen und Abdruck mit Links
2) Fallen lassen, landen und Abdruck mit Links (rechter Fuß berührt minimal später den Boden)
3) Fallen lassen, landen mit Rechts, dann Landen und Abdruck mit Links.
Ebenso für den Lauf in die vordere Rückhandecke:
1) Fallen lassen und gleichzeitiges Landen und Abdruck mit Rechts
2) Fallen lassen, landen und Abdruck mit Rechts (linker Fuß berührt minimal später den Boden)
3) Fallen lassen, landen mit Links, dann Landen und Abdruck mit Rechts.
Diese verschiedenen Wege jeweils nur kurz ausprobieren. Danach wirft der Trainer Bälle links oder rechts und der Athlet soll selbst ausprobieren oder besser noch „einfach machen“ und herausfinden, welche Art und Weise zu starten für ihn und die jeweilige Situation (Habe ich (richtig) erkannt, wo es hingeht?) besser passt. Athletenindividuell ist dies etwa abhängig von der Lesefähigkeit, der eigenen Reaktionsfähigkeit (Einzel- und Auswahlreaktion) sowie vom Verhältnis zwischen konzentrischer und exzentrisch-konzentrischer Startkraft. Dazu ein kleiner Denkanstoß, ohne dies für alle Fälle ausführlich zu behandeln: Lande ich in Situationen, in denen ich nicht weiß, ob der Ball in die Vor- oder Rückhandecke fliegt, immer auf Rechts, decke ich automatisch die vordere Rückhandecke besser und muss für den Auftakt auch nur eine Einfachreaktion ausführen. Fliegt der Ball dann aber in die Vorhandecke, habe ich hier einen minimal kleinen Nachteil – aber auch diesen Nachteil kann ich durch Training der physischen und kognitiven Komponente verkleinern.
Dies entspricht der folgenden Übung - nur "mit Zuwurf" und Ball!
Wichtig für diese Übung: Der Ballflug muss erkennbar sein, wenn der Athlet noch in der Luft ist (Zuwurftiming des Trainers) – dann entspricht es in etwa der Spielsituation. Hauptziel der Übung ist, zu schulen, dass für den Start ein explosiver Abdruck nötig ist – und dieser ist, wie oben beschrieben, auf verschiedenste Weisen möglich.
Der nächste Artikel der kleinen Serie beschäftigt sich mit weitern Übungen für den Start, einem kleinen Ausflug nach China sowie einer Übungsreihe für den Laufrhythmus.
Diemo Ruhnow
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